Okavango Delta
„Das Herz sieht weiter als das Auge.“
Afrikanische Weisheit
Von Khama nach Maun
Der heutige Tag bringt ein Feuerwerk an Gefühlen. Er beginnt wie sonst auch: 5:30 Uhr aufstehen, alles einpacken, Zelt abbauen, ein schnelles Frühstück mit Kaffee und Müsli und los.
Ein erster Abschied von Wayne und Josef. Es fühlt sich nicht ganz einfach an. Wie schnell man sich doch an Menschen gewöhnen kann.
Auf der Fahrt ins Okavango Delta bläst uns der Wind um die Nase, wir müssen die Hüte festbinden und alles einpacken, sonst fliegt es davon. Nachdem wir von der Hauptstraße abgebogen sind, fahren wir auf sandigen Pisten, kommen nur langsam vorwärts, es ruckelt und schaukelt und schüttelt uns durch. Ein Gefühl, das uns die restliche Reise begleiten wird. Wir halten uns gut fest und müssen aufpassen, dass uns die dornigen Zweige der Akazien nicht streifen. Das ist bestimmt nicht lustig, die sind ziemlich scharf. Wir werden auf unseren Fahrten immer wieder von neuen darauf hingewiesen, extrem vorsichtig zu sein.
Plötzlich bleibt unser Fahrer mitten auf dem Weg stehen. Große Verwunderung. Dann merken es auch wir: Wir haben unseren Anhänger verloren. Er ist einfach nicht mehr da. Also umkehren, zurück, Anhänger suchen. Glück gehabt. Der steht da im tiefen Sand mitten auf dem Weg. Nun heißt es ausbuddeln, alle Mann schieben und mit vereinten Kräften hängt er schließlich – diesmal sicher – am Fahrzeug. Weiter geht die Fahrt.
Die ersten Giraffen stehen da rum. Und ziemlich viele Zebras. Es ist das erste Mal in meinem Leben, diese Tiere in freier Wildbahn beobachten zu können. Und ich genieße es, dieses neue, aufregende Gefühl.
Morutsha und ein Schock
Endlich kommen wir in Morutsha an der Anlegestelle der Mokoros an. Wir alle steigen aus, wollen beim Beladen der Boote helfen. Gerlinde will auch aussteigen, bleibt aber mit dem Fuß zwischen Rahmen und Sitz hängen – und fällt langsam rückwärts auf den Weg. Sie steht mit Hilfe der anderen auf, sagt grinsend, es sei alles o.k., hält ihre Hand hoch und dann ganz trocken: „Meine Hand ist gebrochen.“ Sie sieht mich dabei mit einem seltsamen Blick an. Äh, wie jetzt? Echt? Ich kann sehen, dass die Hand am Gelenk versetzt steht. Ich will das alles jetzt gar nicht wissen. Und begreife es irgendwie auch nicht. Aber es ist so. Patrick schient die Hand, alle kümmern sich um sie. Und so langsam sackt bei uns durch, was jetzt eigentlich passiert ist. Es war doch ihr großer Traum, sie wollte unbedingt auf dem Okavango mit den Mokoros unterwegs sein, deswegen hatte sie diese Tour ausgesucht. Das müssen wir alle jetzt erstmal verkraften.
Patrick reagiert sehr besonnen, organisiert sofort ihre Rückfahrt nach Maun, tröstet sie (und mich). „Sie wird dort bei den Ärzten bestens versorgt.“ Ich bleibe hier bei den anderen, weil ich ihr in Maun nicht helfen kann. Wayne wird sie zum Arzt bringen und anschließend ins Camp. Dort wird er sich auch um sie kümmern, bis sie wieder zu uns stoßen kann. Für mich ist es sehr schwierig, ich habe keine Verbindung zu ihr, weiß nicht, ob sie in Afrika bleiben kann, ob sie vielleicht operiert und gar nach Hause fliegen muss. Und wieder heißt es, ruhig bleiben. Hakuna Matata.
Schweigend helfen wir alle zusammen, die Mokoros zu beladen und dann geht es los. Die Fahrt über das Wasser ist mir suspekt, aber ich sehe in die freundlichen Augen unserer Staker und weiß, ich bin in guten Händen. Sie sind hier geboren und kennen das Delta wie ihre Westentasche. Ich kann ihnen vertrauen. Und dann genieße ich dieses stille, fast meditative Gleiten über das Wasser.
Die ersten Elefanten
Das erste Boot bremst ab, wir werden durch Handzeichen aufgefordert, ganz leise zu sein. Und dann kommt eine Herde Elefanten aus dem Gebüsch. Es sind mindestens acht große Tiere und zwei ganz kleine. Sie schauen zu uns herüber, wedeln langsam und bedächtig mit den großen Ohren. Wir lassen ihnen Raum und die Möglichkeit zum Rückzug, so fühlen sie sich durch uns nicht bedrängt. Das Bild prägt sich mir ein, es ist so wunderschön. Für mich sind dies die ersten Elefanten in freier Wildbahn. Nach ein paar Minuten ziehen sie weiter und wir setzen unsere Fahrt fort. Die Sonne brennt vom Himmel, es ist heiß, wir haben keinen Schatten auf dem Wasser. Aber die langen Hosen, die langärmelige Bluse und mein Hut schützen perfekt vor der Sonne.
Plötzlich weitet sich der Blick, wir fahren in eine Lagune hinein. Hier an diesem wundervollen Flecken Erde werden wir unser Camp errichten, hier tauchen wir zwei Tage ein in eine atemberaubende Natur. Wieder stehen unsere Zelte unter großen, schutzgebenden Bäumen, die Schatten spenden und somit die Hitze erträglich machen. Trotzdem werde ich mich heute mitten am Tag in mein Zelt legen, denn die Hitze macht mich platt.
Fußpirsch im Delta
Ein neuer Tag beginnt. Die Sonne geht auf und schickt ihr goldenes Licht über die Savanne. Vorsichtig laufen wir, einer hinter dem anderen, aufgereiht wie an einer Perlenschnur, im Gänsemarsch hinter Carlos her. Niemand darf sich aus dieser Formation lösen. Als ich in Gedanken versunken einen Meter neben den anderen hergehe, pfeift mich Carlos sofort wieder in die Schlange zurück. Berechtigterweise, denn sie tragen die Verantwortung für uns. Bei aller Romantik dürfen wir nicht vergessen, dass wir uns im Lebensraum wilder Tiere befinden. Leichtsinnig sein bedeutet schnell Gefahr für uns alle. Wir beobachten Hippos aus der Ferne, Elefanten, die Wasser suchen, viele Impalas und kunterbunte Vögel. Carlos erzählt uns spannende Geschichten über das Zusammenleben von Mensch und Tier hier im Delta.
Die Zeit bis zum Mittagessen nutzen wir zum Entspannen, selbst die Bayais liegen im Schatten. Patrick kocht. Ich sitze im Zelt und schreibe Tagebuch, der Schweiß rinnt mir in dünnen Rinnsalen über den Rücken und das Gesicht. Man lernt, mit der Hitze umzugehen. Siesta eben, einfach Abhängen. Was wird nur Gerlinde machen? Es ist kein gutes Gefühl, nicht mit ihr sprechen zu können. Kurz vor dem Abendessen wird mich Patrick informieren, dass es ihr gut geht und sie morgen an der Anlegestelle in Morutsha auf uns warten wird. Ich kann die Tränen nicht zurückhalten.
Die heißesten Stunden vertrödeln wir, am späten Nachmittag genießen wir eine Fahrt mit den Mokoros in den Sonnenuntergang. Wieder zurück im Camp verbringen wir den Abend am Ufer unserer kleinen Lagune. Und wieder einmal kann ich kaum ausdrücken, wie glücklich ich mich hier fühle, unter dem unendlichen Sternenhimmel Afrikas.
„Ich bin nicht mehr dieselbe, seit ich den Mond auf der anderen Seite der Welt habe scheinen sehen.“
Mary Anne Radmacher